Die Tatsache, dass eine Aktiengesellschaft börsennotiert ist, lässt noch keinen Schluss auf die Seriosität des Unternehmens zu. Gerade in Börsensegmenten, die nur sehr niedrige Eintrittshürden aufweisen, ist die Börsennotierung für sich genommen noch kein Qualitätsmerkmal. Eine Unternehmensbewertung dort gelisteter Gesellschaften wird dadurch erschwert, dass nur wenige Informationen über diese Aktiengesellschaften veröffentlicht und in der Regel auch keine unabhängigen Analysen oder Gutachten über diese Unternehmen erstellt werden. Fundierte Beurteilungen sind deshalb für die Anleger kaum möglich.
Das muss jedoch nicht zwangsläufig bedeuten, dass solche Unternehmen unseriös sind. Es eröffnet jedoch unseriösen Akteuren die Möglichkeit, mit Hilfe solcher börsennotierten Unternehmen die Anleger und Aktienkäufer über den wahren Wert der Gesellschaft zu täuschen.
Als Wirtschaftsgutachter werden wir in unregelmäßigen Abständen mit Unternehmensbewertungen im Zusammenhang mit Betrugsvorwürfen wegen möglicherweise wertlosen Aktien beauftragt.
Dies stellt uns vor große Herausforderungen und erfordert umfangreiche Prüfungen der vorhandenen Unterlagen und tatsächlichen Gegebenheiten, insbesondere wenn es sich um ausländische Aktiengesellschaften oder Unternehmen mit ausländischen Tochtergesellschaften handelt.
Der Fall
Ein solcher Fall wird nachfolgend dargestellt:
Der von uns zu prüfenden Aktiengesellschaft war es gelungen, durch geschickten Transfer von Unternehmensbeteiligungen und sehr optimistische Prognosen sowohl ein hohes Eigenkapital, als auch einen hohen Unternehmenswert darzustellen. Da die Aktie des Unternehmens an der Börse gehandelt wurde, hatten die Aktivitäten der Verantwortlichen auch unmittelbare Auswirkungen auf die Börsenkurse.
Nach drei Jahren wurde der „Höhenflug“ des Unternehmens und damit der Aktie durch eine Jahresabschlussprüfung gestoppt. Der Wert des Unternehmens resultierte insbesondere aus einer Kapitalerhöhung durch Sacheinlage, bei der ein Beteiligungsunternehmen eingelegt wurde. Nachdem der Wert dieses eingelegten Beteiligungsunternehmens durch eine Jahresabschlussprüfung drei Jahre später nicht bestätigt werden konnte, kam es zu massiven Korrekturbuchungen von Beteiligungswerten und zu einer eheblichen Abwertung des gesamten Unternehmens.
Die Aktiengesellschaft wies demzufolge drei Jahre lang ein falsches Bild der Vermögenslage aus und den Kapitalanlegern wurden über Jahre hinweg Aktien angeboten, deren Kurswerte nicht den tatsächlichen Gegebenheiten entsprachen.
Das von uns zu untersuchende Unternehmen wurde bereits im Jahr 2013 als GmbH gegründet.
Nachdem sich im Jahr 2019 der Unternehmensgegenstand der Gesellschaft in Beteiligungen jeder Art an anderen Unternehmen, im Besonderen an Unternehmen in den Bereichen Telekommunikation, Mehrwertdienste, neue Medien und dem Gesundheitswesen geändert hatte, wurde die GmbH in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Das Stammkapital belief sich zum damaligen Zeitpunkt auf
200.000,00 EUR. Sodann wurde im Jahr 2020 eine weitere Beteiligungsgesellschaft als Sacheinlage in die zu untersuchende Aktiengesellschaft mit einem Wert von 10,5 Mio. EUR eingelegt.
Für die Bewertung der Sacheinlage wurde ein Gutachten vorgelegt, welches dem Unternehmen einen Wert von sogar 25 Mio. EUR bescheinigte. Grundlage dieses Gutachtens waren Planungsrechnungen der im Vermögen gehaltenen Beteiligungen, welche vom Vorstand der Aktiengesellschaft erstellt und vom Bewertungsgutachter ungeprüft übernommen wurden.
Zwar wurde bereits in der darauffolgenden Abschlussprüfung der Wert der Sacheinlage in Zweifel gezogen und der ursprünglich beauftrage Wirtschaftsprüfer versagte sogar den Bestätigungsvermerk, allerdings wurde daraufhin ein weiterer Wirtschaftsprüfer mit der Prüfung des Jahresabschlusses beauftragt, der auch die uneingeschränkte Testierung des Jahresabschlusses vornahm.
Um die Werthaltigkeit der Beteiligungen zu belegen, wurden den Jahresabschlussprüfern immer wieder Planzahlen vorgelegt, welche vom Vorstand der Aktiengesellschaft erstellt wurden. Nachdem allerdings bereits im Jahr 2022 augenscheinlich wurde, dass die Planzahlen nicht eingetroffen waren, wurde als Beleg für die Werthaltigkeit einer Beteiligung sogar ein „Letter of Intent“ von mehreren Millionen Euro vorgelegt, welcher als Beleg für die Werthaltigkeit im Rahmen der Jahresabschlussprüfung genutzt wurde.
Zu einem tatsächlichen Verkauf an den potentiellen Erwerber kam es aber nie. Zudem wurden Beteiligungen an ausländische Unternehmen veräußert, über die es nur wenige bis keine Informationen gab. Da die ausländischen Käufer die Kaufpreise (welche zum Teil zu erheblichen Veräußerungserträgen geführt hatten) in Einzelfällen auch in eigenen Aktien leisteten, waren diese Verkäufe und die daraus resultierenden Veräußerungserträge kritisch zu hinterfragen.
Letzten Endes wurden die Beteiligungen allesamt Anfang des Jahres 2023 zu einem sehr geringen Kaufpreis veräußert, was auch dazu führte, dass bei Jahresabschlusserstellung für das Geschäftsjahr 2022 erhebliche Wertkorrekturen im Finanzanlagevermögen vorzunehmen waren. Darüber hinaus waren in diesen drei Jahren auch keine weiteren nennenswerten Beteiligungen erworben worden, die im Rahmen der Bewertung der Aktiengesellschaft einen Unternehmenswert von mehreren Millionen Euro hätten belegen können.
Die gutachterlichen Prüfungen und Feststellungen
Aufgrund des Betrugsverdachts waren die Kurse, zu denen die Anleger die Aktien erworben haben, zu prüfen. Im Rahmen unseres Gutachtens war der tatsächliche Unternehmenswert der Gesellschaft in einem Zeitraum von 2020 (Zeitpunkt der Sachkapitalerhöhung) bis 2023 nach den Grundsätzen zur Durchführung von Unternehmensbewertungen des IDW (IDW S 1) zu ermitteln.
Da keine geeigneten und plausiblen Planungsrechnungen vorlagen, wurden die Werte des Unternehmens zu verschiedenen Stichtagen aus der Vergangenheitsanalyse abgeleitet. Dabei war insbesondere auch der Wert der Sacheinlage in 2020 und damit die Prüfung der eingelegten Gesellschaft notwendig.
Im Rahmen des Gutachtens war der Unternehmenswert zahlreicher Unternehmen, an denen sich die zu prüfende Aktiengesellschaft beteiligte, zu ermitteln. Hierzu standen insbesondere Jahresabschlüsse, die Buchhaltung sowie Verträge der zu untersuchenden Aktiengesellschaft sowie der Beteiligungsunternehmen zur Verfügung.
Im Ergebnis war für die eingelegte Gesellschaft, die angeblich einen Unternehmenswert von 25 Mio. EUR hatte, nur ein Wert von maximal 3,5 Mio. EUR feststellbar. Die damit verbundene Sachkapitalerhöhung im Jahr 2020 in Höhe von 10,5 Mio. EUR war bereits zu diesem Zeitpunkt als nicht werthaltig einzustufen und die Ausgabe der neuen Aktien erfolgte somit weit über Wert.
Investitionen in erfolgreiche Unternehmen, mit denen hohe Beteiligungserträge zu erwarten gewesen wären, wie es in den Prognosen und Veröffentlichungen gegenüber den Aktionären dargestellt wurde, konnten gutachterseits nicht festgestellt werden. Die Überprüfung der Unternehmenszahlen der einzelnen Beteiligungen belegte, dass der versprochene Erfolg bzw. die Planzahlen von Anfang an nicht realistisch waren.
Gutachterseits konnte somit festgestellt werden, dass die Aktien zu weit überhöhten Kursen an die Anleger verkauft wurden.